Zur besseren Lesbarkeit hier noch einmal der Text:

 

Marburg   Bei Wein und Käsegebäck wurde den Gästen im historischen Gewölbe der Buchhandlung ein beeindruckendes Literaturerlebnis geboten. Inhaber Rudolph Braun-Elwert freute sich, dass Anja Zimmer, die bereits vor 300 Gästen in der Elisabethkirche gelesen hatte, erneut nach Marburg kam, um ein solches "Bonbon" zu bieten.

Das Leben der Anna von Hessen bleibt in weiten Teilen ein Geheimnis. Dass sie aus dem mecklenburgischen Fürstenhaus stammte, den Landgrafen Wilhelm II. von Hessen heiratete und die Mutter des Marburger Universitätsgründers Philipp war, ist bekannt. Ihr Wirken gibt jedoch Rätsel auf und zeigt, Widersprüche. Ihre Bedeutung wurde von Historikern unterschiedlich bewertet. Fest steht, dass sie nicht unerheblichen Einfluss auf die politischen Geschehnisse in Hessen nahm, und das in einer Rolle, die zu jener Zeit Männern vorbehalten blieb.

Anja Zimmer entwirft ein menschliches Portrait der Landesmutter, die im Jahr 1500 durch ihre Vermählung mit Landgraf Wilhelm II. nach Hessen kommt. Sie ist die zweite Frau des Witwers und hat es zunächst schwer, in die Fußstapfen ihrer verstorbenen Vorgängerin zu treten, denn an ihr wird Anna gemessen. Nach Wilhelms Tod übernimmt Anna das Regieren. In den Reihen des hessischen Adels und Klerus hat sie viele Gegner, die ihr das Leben nicht leicht machen. (Und zeitweise die Regierung an sich reißen! A. Z.) Und auch durch die Reformation wird die strenge Katholikin politisch wie menschlich auf eine harte Probe gestellt.

Ohne den Einsatz ihrer Fantasie sei eine auf das Menschliche ausgerichtete Darstellung der historischen Hauptfigur nicht möglich gewesen, betont die 41-jährige Autorin im Gespräch mit der OP. Für eine historisch einwandfrei Darstellung fehle es schlichtweg an Erkenntnissen über Annas Leben, ihr Wirken und ihren Charakter. (Hierbei hatte ich mich auf alltägliche Details wie den genauen Wortlaut von Gesprächen, Namen von Dienerinnen oder Kleidungsstücke bezogen!  A.Z.)

Folglich habe sie versucht, sich so weit wie möglich in die Lage der Hauptfigur hineinzuversetzen, angefangen bei Annas gemischten Erwartungen an die Ehe mit Wilhelm II. von Hessen, sagt Anja Zimmer.

15 Jahre alt war die junge Herzogin bei ihrer Vermählung mit dem 32-jährigen Wilhelm II. So weit die Fakten. Ihre Gefühle am Vorabend der Hochzeit, ihr Trotz und ihre Hoffnungen gehören wiederum zur romanhaften Ausgestaltung durch die Autorin. Ebenso ihre Besuche bei Beichtvater Ignatius, dem sie sich in ihrer Verzweiflung immer wieder anvertraut.

Historisch belegt sei beispielsweise die Szene, in der sie ihren an Syphilis erkrankten, weggesperrten Ehemann Wilhelm aufsucht, und seine Wunden versorgen lässt.

Auch nutzten die Regenten nachweislich das durch die Erkrankung des Landgrafen entstandene Machtvakuum, um sich zu bereichern, wie der Roman zeigt. Anna machte es sich zur riskanten Aufgabe, dieser chaotischen Zustände Frau zu werden.

Seine Lebendigkeit erhält der Roman vor allem durch die zahlreichen Dialoge, wie etwa zwischen Anna und Ignatius. Einige, wie die Gespräche mit Ignatius, sind frei erfunden, andere wurden in dieser oder ähnlicher Weise geführt.

Anja Zimmer meistert dabei eine Gratwanderung. Zum einen schafft sie eine Gefühlsebene, die für den Leser der heutigen Zeit zugänglich ist, zum anderen behält sie stets den epochalen Kontext, das ausklingende Mittelalter mit all seinen Auswüchsen, im Auge. Genau darin besteht der Reiz des Romans. Anja Zimmer schreibt derzeit einen weiteren historischen Roman.